Hans Momsen, der größte Sohn unserer Gemeinde, dessen Kindheit und Lebenswerk mit unserem Dorf eng verbunden sind, erblickte am 23. Oktober 1735 auf Bottschlott das Licht der Welt.
In der Schule hatte der kleine Hans, dessen ungewöhnliche Begabung sich früh regte, einen schweren Stand, weil sich der damalige Schulunterricht in sehr engen Grenzen bewegte und wenig Raum für den stets hungrigen Geist dieses Kindes bot.
Wer neben dem einfachen Rechnen und Lesen hauptsächlich Bibelsprüche und Gesangverse sowie den Katechismus auswendig hersagen konnte, galt als guter Schüler.
Eigenes Denken oder gar Fragen stellen nach dem Wie und Warum waren dem Lehrer unbequem und wurden streng getadelt. Kein Wunder, wenn der aufgeweckte Junge bei dieser Art des Unterrichts starkes Missbehagen verspürte und oft geistig abwesend war.
Er dachte dann lieber darüber nach, wie er seine kleinen mechanischen Arbeiten zu Hause am zweckmäßigsten ausführen konnte. So geriet er in den Ruf eines einfältigen Schülers, und der Lehrer führte beim Vater mehrfach Beschwerde.
Da ihm die Schule nicht seine Erwartungen erfüllen konnte, lernte er um so eifriger zu Hause. Tag für Tag saß er über den Büchern seines Vaters, die zum Teil in holländischer Sprache geschrieben waren und zu deren Verständnis er sie sich zunächst noch mühsam mit Hilfe einer holländischen Fibel und einer ebensolchen Bibel übersetzen musste.
Besonders die Mathematik lag ihm am Herzen, und noch während seiner Schulzeit hatte er die „Fünfzehn Elemente des Euklid" in ihren Grundzügen verstanden, was seine außergewöhnliche Begabung erahnen lässt. Doch sein Lehrer erkannte sie nicht, sondern schalt ihn wegen seiner Wissbegier sündhaft eitel. Auch sein Vater hatte wenig Verständnis für diese Art Beschäftigung seines Sohnes und war darauf bedacht, ihn für einen Beruf tauglich zu machen, der es erlaubte, sein täglich Brot in herkömmlicher Weise „auf ehrliche Art" zu verdienen.
Aber alle eindringlichen Vorhaltungen konnten seinen Wissensdurst nicht unterdrücken, und als er sich gar noch „Wolfs Auszug aller mathematischen Wissenschaften" beschaffen konnte, erfuhren seine Kenntnisse auf diesem Gebiet weitgehende Vervollkommnung.
Nach der Schulentlassung musste Momsen wie seine Brüder mit Spaten und Schubkarre am Seedeich arbeiten, um Geld zu verdienen. Trotz seiner schwächlichen Natur verrichtete er diese schwere körperliche Arbeit ohne Klagen. Selbst hier draußen, während seine Arbeitskameraden sich in den Ruhepausen dem Schlaf hingaben, nutzte er jede freie Stunde, um sich seinen Büchern zu widmen, die er stets bei sich führte.
Auch am Abend gönnte er sich keine Ruhe und setzte seine Studien mit eiserner Energie fort.
Bei den Arbeiten am Deich sollte er noch eine schmerzliche Lebenserfahrung machen. Schon bald erkannte sein allzeit wacher Geist und sein Sinn für die Praxis manche Fehlleistungen, die dort verrichtet wurden. In seiner bescheidenen Art versuchte er, seinen Arbeitskollegen die Augen zu öffnen und sie für eine zweckmäßigere und sinnvollere Arbeitsweise zu gewinnen. Doch diese, wohl um vieles älter als er, zeigten sich seinen praktischen Vorschlägen nicht zugänglich und schalten ihn einen dummen und eingebildeten Jungen. Es betrübte ihn tief, wenn er mit ansehen musste, wie die bejahrten Männer an der hergebrachten Methode festhielten und sich der Vernunft zum Hohn gegen alles Neue sperrten.
Doch war er klug genug, künftighin seine Gedanken für sich zu behalten. Erst später als Deichrichter konnte er seine hier erworbenen Erfahrungen fruchtbringend durchsetzen.
Den Winter nutzte Momsen für weitere Studien und fand Gelegenheit, im Sommer 1753 im Alter von 18 Jahren in Dithmarschen sein Können unter Beweis zu stellen. Mit der ersten größeren Geldsumme, die er nach Hause brachte, schwand endlich der Widerstand seines Vaters, der ihn von nun an in allem gewähren ließ.
Vom Vater übernahm er nachfolgend das Amt des Deichvogts und wirkte als solcher verantwortlich an der Eindeichung des Juliane-Marienkooges 1777 mit.
Im Jahre 1780, also mit 45 Jahren, heiratete Momsen Adelheid, die 25jährige Tochter von Johann Hinrich Breckling aus Fahretoft. Seine Braut wird als groß, hübsch und klug geschildert, und dass sie auch resolut sein konnte, bezeugt eine ergötzliche Überlieferung: Adelheid half in der Gastwirtschaft ihres Onkels auf der Maienswarft, als dort der Graf Schack aus Mögeltondern einkehrte und im Scherz versuchte, sich der hübschen Deern zu nähern. Ob dieser vermeintlichen Ungebührlichkeit wurde ihm eine schallende Ohrfeige zuteil, die ihm den überraschten Ausruf entlockte: „Au, die haut ja!“
Getreulich seinem Leitspruch: „Louk aast, louk weest, inne äs't beest!" gestaltete Momsen sein Familienleben. Er galt als liebevoller Gatte und war seinen sieben Kindern ein guter Vater. Stets trug er nach damaliger Landessitte einen langen, grauen Friesrock, weite Frieshosen und auf dem Kopf eine blauwollene Zipfelmütze.
Auf der Gabrielswarft hatte er sich im Garten vor seinem Hause eine Werkstatt eingerichtet mit allem, was er benötigte. Hier entstanden die gediegensten Instrumente, wie Messkonsolen, Reißzeuge, Spiegeloktanten und Räderschneidemaschinen, um nur einige anzuführen. Auch baute er Fernrohre, Uhren mit Glockenspiel, Sonnenuhren und schließlich gar eine Orgel mit sechs Registern und einer Klaviatur von vier Oktaven.
Dabei muss man sich vor Augen halten, dass er alles, auch das kleinste Teilchen, selbst schmiedete, drechselte, lötete, schnitzte und nötigenfalls sogar aus Metall goss. Diese vielseitigen handwerklichen und künstlerischen Fähigkeiten, gepaart mit Erfindersinn, erwecken allein schon höchste Bewunderung.
Aber auch in den Geisteswissenschaften war Momsen zu Hause. Geographie, Geschichte und Anthropologie hatte er sich durch intensives Selbststudium zu eigen gemacht. Seine Lieblingsgebiete jedoch waren Astronomie, Trigonometrie, Mechanik, Optik, Hydraulik und schließlich noch die Navigationslehre. Um in diese Wissenschaften eindringen zu können, musste er sich auch noch in die dänische, englische, französische und lateinische Sprache einarbeiten.
Bei der Vielfalt seiner Begabungen drängt sich unwillkürlich die Frage auf, was Momsen hätte leisten können, wenn ihm von Kind auf heutige Bildungsmöglichkeiten offen gestanden hätten. Sicherlich hätte die Nachwelt ihm Außerordentliches zu danken gehabt. Momsen selbst bedauerte seinen mühsamen Weg des Selbststudiums nicht und pflegte zu sagen: „Nur das durch eigenes Nachdenken Erkannte ist wahres Eigentum des Geistes."
So wirkte er in dem selbstgewählten Kreis seiner engeren Heimat, immer darauf bedacht, seine Unabhängigkeit zu erhalten. Diese schätzte er höher als gut bezahlte Anstellungen.
Freiheit und Wahrheit waren ihm die heiligsten Güter. Hieraus ist auch sein ausgeprägter Sinn für Rechtlichkeit zu verstehen. Seinen Schülern war er ein gütiger und zugleich gestrenger Lehrer, dessen Reden von seinem reichen Wissen zeugten. Oberflächliches Geplauder war ihm fremd, und man sagte, dass sein Wort wie ein Orakelspruch galt.
Alten Aufzeichnungen zufolge war er seinem ganzen Wesen nach voll Ehrfurcht vor der Schöpfung und von tiefer Frömmigkeit, wenn auch nicht im kirchlichen Sinne. Obgleich er in seinen späteren Jahren nicht mehr die Kirche betrat, so lauschte doch sein Ohr der Stimme seines Gewissens, des Gottes seines Inneren.
Nach langem Zögern folgte er einer Einladung nach Kopenhagen, wo ihm große Anerkennung und Ehrungen zuteil wurden.
So still und bescheiden er lebte, so still war auch sein irdischer Abschied 1811.
Max Lorenzen
Leere Bucheinbandseiten seiner großen Bibliothek nutzte Hans Momsen für seine vielen mathematischen Formeln, Zeichnungen und Mond- und Sonnenfinsternis Berechnungen.
„Täglich, ja stündlich trug er ihn - den Euklid - bei sich und fing an, alles aus euklidischen Gesichtspunkten zu betrachten. Dass Momsen auf diese Weise gewaltige Fortschritte in der Mathematik machte, ist begreiflich, dass er aber schon in seinem 14. Jahre fünfzehn Elemente der Hauptsache nach inne hatte, ist Tatsache, welche uns die bedeutende Kraft seines Geistes, des bewunderungswürdigen Genies ahnen lässt.“
J. Petersen, 1874
„Sein Haus war im wahrsten Sinne des Wortes die Sternenwarte Nordfrieslands und die Hochschule der Mathematik.“
A. Johannsen, 1935
„Bis an die Grenze beherrschte er diese Wissenschaft, die gleicherweise eine lebhafte Phantasie und eine strenge Zucht der Gedanken voraussetzt.“
C.J. Hehnke, 1911
„Er studierte auch besonders den Deichbau und sah alles aus Euklidischen Gesichtspunkten an. In nächtlichen Stunden arbeitete er emsig an der Verfertigung mehrerer mathematischer Werkzeuge, besonders solcher, die den Landmessern dienten. 1753 ging er nach Dithmarschen, wo er durch den Verkauf seiner schönen Instrumente sowohl als auch durch seinen täglichen Fleiß sich die Achtung aller erwarb.“ Sörensen, 1814
Später war Hans Momsen in Nordfriesland als Landmesser tätig, wurde vielfach als Sachverständiger berufen und versah in Fahretoft die Tätigkeit eines Deichrichters.
„Er lieferte Baurisse für Häuser, Schleusen und Brücken. Auf Bestellung machte er einige Wasserschnecken zum Wasserschöpfen.“
S. Staats, 1965
„Mit einem höchst angenehmen Gefühl der Befriedigung ging ich von dannen zu den Lehrstühlen in der Universitätsstadt und mussten wohl etwas bescheidener, etwas kräftiger meinen Weg wandeln, denn ich hatte den bescheidenen Autodidakten Momsen geschaut.“
Chr. Feddersen, 1858
„Im Winter war auch der Unterricht für junge Leute“ (vor allem Steuerleute und Kapitäne) „in allen mathematischen Wissenschaften für ihn Geschäft, und auf diese Art hat er dem Vaterlande wahrhaft genützt. Auch der unlängst verstorbene Professor Krebs aus Kopenhagen verehrte in Momsen seinen Lehrer, und nie schrieb er ein Werk, ohne Momsen ein sauber gebundenes Exemplar zuzusenden und sich sein Urteil über den Werth desselben auszubitten.“
Sörensen, 1814
Sechshundert Fachbücher über z.B. Optik, Mathematik, Sonnensternkunde, Astronomie, Lichtlehre, Navigationslehre, Uhrmacherkunst und Mechanik nannte Hans Momsen sein eigen. Er kannte sie alle, ob sie nun in holländischer, dänischer, französischer, englischer oder lateinischer Sprache geschrieben waren. Selbst Deutsch war für ihn als Friese in seinen Kinderjahren eine Fremdsprache. Dennoch hatte er so gründliche Kenntnisse - ohne je einen Lehrer in diesen Sprachen gehabt zu haben - dass er Übersetzungen z.B. vom Lateinischen ins Deutsche vornahm.
"Kam ein neues Buch an, in dem er Neues und Wichtiges zu finden hoffte, so war seine Freude groß. Er las abends auf dem Bette darin, legte es unter sein Haupt, wenn er einschlafen wollte und ergriff es morgens beim ersten Erwachen wieder."
Chr. Feddersen, 1858
"n seinen Knabenjahren hat er eine Windmühle und ein Kriegsschiff verfertigt, beide noch sehenswerte Stücke. Er zeichnete, machte Kupferstiche und Holzschnitte, band Bücher ein, verfertigte allerlei mathematische Instrumente, (Bestecke, Reißzeuge, Boussolen, Zirkelfüße und Messketten) schliff und polierte Gläser und verfertigte sowohl Teleskope als Sextanten und Otanten. Auch Uhren allerlei Art hat er gemacht, besonders eine Uhr mit Glockenspiel und eine Seeuhr (außerdem: Standuhren, Sonnenuhren auf Sandstein und solche im Taschenformat)."
"Im Kunstdrechseln war er Meister, und seine Stahl arbeiten kamen an Politur und Genauigkeit den englischen gleich. In späteren Jahren verfertigte er auch eine recht niedliche Orgel. Sie hatte sechs Register, eine Klaviatur mit vier Oktaven, ein Pedal mit zwei Oktaven und 294 Pfeifen."
Sörensen, 1814
Hauke Haien
Dö setjst aw Gabrielwäjerw to spickelieren As Rägenmäjster Däj for Däj;
Von Mjarn to Een wjarst dö baj't Lieren En hölpst de selew aw di rechte Wäj.
Dö löppst to metjen en to rägnen baj e Dicke, De woß ja ninj Exempel altoswar,
Schöüjst ock di Wäj ap to e Stäjre sicke, Dö jäjfft de aj, en kömmst er ock ma klar.
Da Manschne wenj wat Grottes üt de mage, Ja föngen auers aj e Bocht,
Dann blot önj Fohrtoft köj't de hage: Dö blifst en Börre däjk en schocht.
Jaa, dö blifst frasch, dar äs nint to verdraien, En manneng häwe von de liert.
E hiele Wral kant de äs Hauke Haien - En so waarst dö von üß ock ihrt.
Johannsen, 1935
Hauke Haien
Du saßest auf der Gabrielswarft zu spekulieren als Rechenmeister Tag für Tag;
Von Morgens bis Abends warst du am Lernen Und halfst dir selbst auf den richtigen Weg.
Du liefst zu messen und zu rechnen am Deiche, dir war kein Exempel zu schwer,
suchtest auch den Weg hinauf zu dem Sternenhimmel. Das gab es nicht, du kamst auch damit klar.
Die Menschen wollten etwas Großes aus dir machen, sie bekamen aber nicht die Bucht*.
Denn nur in Fahretoft gefiel es dir: Du bliebst ein Bauer, täglich und schlicht.
Ja, du bliebst friesisch, da ist nichts zu verdrehen, Und viele haben von dir gelernt.
Die ganze Welt kennt dich als Hauke Haien - Und so wirst du auch von uns geehrt.
*ihren Willen
Übersetzung Hans Werner Paulsen